Zum akademischen Abend am 1. November unter dem Thema „Demokratie unter Druck – wie gehen wir mit dem Erstarken mit der AfD um“ war der Gemeindesaal mit mehr als 60 Gästen sehr gut gefüllt. Menschen aller Generationen kamen zu dieser Veranstaltung – und viele blieben auch im Anschluss, um in der ESG bei Suppe und Broten weiter miteinander ins Gespräch zu kommen mit den Podiumsmitgliedern, mit der Rektorin der Hochschule Manuela Schwartz, mit den Mitgliedern der Studierendengemeinde und des Hochschulbeirats. Hier ein Kurzbericht über einen sehr interessanten und inspirierenden Abend:
Das Podium war durchaus nicht homogen besetzt, doch zu richtigen Kontroversen z.B. bei Fragen zu den verschiedenen Möglichkeiten der Abgrenzung zur AfD kam es dennoch nur in Nuancen.
In einem Eingangsvortrag von Prof. Dr. Matthias Quent (Institut für demokratische Kultur, HS Magdeburg-Stendal) wurden der aktuelle Forschungsstand referiert und die komplexen Rahmenbedingungen erläutert, die zu einem kontinuierlichen Erstarken der extremen Rechten und zu einem Erstarken der Machtchancen der AfD führen. Wie kann der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden, der sich gegen diese Bewegung stellt? Wie sinnvoll ist z.B. ein Verbotsverfahren? Unter anderem darüber wurde im Podium diskutiert.
Lena Lehmann, Bildungsreferentin zum Thema Rechtsextremismus bei Miteinander e.V. stellte jeweils auf die unterschiedliche fachliche Expertise bezogene Fragen an die Podiumsmitglieder.
So wies Prof. Dr. Eva Heidbreder, Politikwissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt für Regieren im Europäischen Mehrebenensystem und auch Vorsitzende des evangelischen Hochschulbeirats, auf den europäischen Zusammenhang hin und zeigte auf, dass in vielen westeuropäischen Ländern wie Österreich (Jörg Haider), Niederlande (Geert Wilders), Italien (schon seit Berlusconi) und Frankreich (Jean-Marie Le Pen vor Marie Le Pen) die Rechtspopulisten schon länger politische Macht erlangt hatten und nach einem ersten entsetzten Aufschrei dann doch mit ihnen zusammengearbeitet wurde und wird. Der rechtspopulistische Trend kommt also nicht (nur) aus osteuropäischen Ländern und europäisch gesehen sei Deutschland dies bezüglich sogar „spät dran“.
Ministerialrat Stephen Gerhard Stehli, MdL für die CDU, wurde gefragt, wie es ihm gelungen ist, gegen den AfD-Kandidaten Oliver Kirchner bei der Landtagswahl 2021 in Magdeburg im Wahlkreis I die Wahl zu gewinnen. Stehli wie darauf hin, dass dies eine Wahl des Ministerpräsidenten Haselhoff gewesen sei und der Wahlkreis in den Wahlen zuvor knapp an die AfD und in den Wahlen davor an die Linke, die CDU und die SPD gegangen sei. Viele hätten 2021 CDU gewählt, die sonst nicht CDU wählen würden. Haselhoff wie Stehli haben sich ganz klar abgegrenzt von der AfD und bleiben auch dabei: Keine Zusammenarbeit mit der AfD! Doch bei der nächsten Wahl sei es nicht sicher, ob Haselhoff noch antritt – dann könne alles anders aussehen. Ein wichtiges Mittel gegen diesen Trend sei die Erhöhung der Selbstwirksamkeitserfahrung bei den Wähler:innen.
Andreas Brohm, Bürgermeister von Tangerhütte seit 10 Jahren (parteilos), sagte dagegen: „Politik ist ein schmutziges Geschäft - ich steig politisch mit jedem ins Bett.“ Er wies darauf hin, dass Politiker Wählerstimmen wollen und Politik für die Kunden machen, die sie vertreten. Die Selbstwirksamkeit bei den Wählern zu erhöhen macht viel Arbeit für die Politiker, und die Wähler honorieren es nicht, sondern „die Wähler wollen tolle Sprüche hören“. Andreas Brom sagte: „Wir müssen uns die Wähler und ihre Erwartungen ansehen. AfD schaut den Menschen aufs Maul. (…) Viele Menschen wollen keine Macht, wollen nichts tun, aber sie wollen starke Sätze. Politisch und gesellschaftlich stehen wir vor großen Transformationen, aber die Wähler wollen keine Veränderungen.“
Stephen Gerhard Stehli bestätigte dies mit anderen Worten. Kaum ein Wähler, eine Wählerin würde wirklich das jeweilige Parteiprogramm lesen und nach einer Analyse dessen die Wählerstimme abgeben.
Andreas Brohm berichtete aber auch von gemeinsamen Projekten in Tangerhütte, die die Menschen auf die Beine brachten und zusammenführte – diese Erfahrung von Selbstwirksamkeit hat nachhaltige Spuren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Tangerhütte zu Folge.
Dr. Christiane Lähemann, in Magdeburg eine bekannte Aktivista u.a. bei Oldies for future und seit diesem Jahr auch bei Omas gegen Rechts, erzählte von erfolgreichen Bündnissen wie z.B. bei der Oberbürgermeisterwahl in Nordhausen und Bittefeld/Wolfen und auch von dem großen zivilgesellschaftlichen Bündnis „Eine Stadt für alle“, dass jedes Jahr im Januar zahlreiche Aktionen auf die Beine stellt. Gleichzeitig sei es aber auch sehr mühsam, Menschen z.B. für Mahnwachen und Proteste wie gegen den AfD-Parteitag in Magdeburg zu gewinnen – dies gelingt nur mit deutschlandweiten Bündnissen. Grundsätzlich stellte sie fest: „Wir sind so wenige.“ Für ihr Engagement bekam sie Beifall aus dem Saal.
Matthias Quent wies darauf hin, dass bei aller Betonung des zivilgesellschaftlichen Engagements der Staat nicht aus der Verantwortung genommen werden darf. Und bei der Diskussion, ob eine Abgrenzung oder ein Verbotsverfahren gegen die AfD nicht eher deren Opferrolle stärkt, betonte Quent, dass die AfD bislang erhebliche finanzielle Zuwendungen vom Staat erhält, die sie auch für ihre höchst erfolgreiche Präsenz auf Social Media wie TikTok einsetzt. Die anderen Parteien sollten ihre Präsenz auf den Medien, die gerade die jungen Menschen nutzen, ausbauen – oft sind sie dort gar nicht vertreten.
Stephen Gerhard Stehli entgegnete darauf hin, wie dass die Nutzung der sozialen Medien nicht den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken würde. Dagegen könnten Kirchen einen Raum für Menschen bieten, die sonst nicht miteinander sprechen würden. Darum sollte dort der Zusammenhalt und nicht die Abgrenzung betont werden.
Nach der Podiumsdiskussion konnten noch einige Fragen aus dem Publikum gestellt werden, bevor die Gespräche in Kleingruppen in der ESG weitergeführt wurden.
Angela Kunze-Beiküfner